AVG-Novelle beschlossen: Nationalrat verabschiedet Reform für schnellere und straffere Großverfahren
Die beschlossenen Änderungen zielen auf eine Beschleunigung und bessere Strukturierung von Großverfahren ab. Das Inkrafttreten ist für den 1. Jänner 2026 vorgesehen.
Die am 19. November 2025 vom Nationalrat einstimmig beschlossene AVG-Novelle („Großverfahrensnovelle“) bringt weitreichende Änderungen für alle Beteiligten. Ziel der Novelle ist es, Verfahren künftig klarer zu strukturieren, effizienter abzuwickeln und stärker zu digitalisieren. Kernpunkte sind die Absenkung der Einstiegsschwelle, die Vereinheitlichung der Kundmachung über das RIS sowie verschärfte Präklusionsregelungen.
Durch die Absenkung der Einstiegsschwelle wird die Anwendbarkeit der Sonderbestimmungen erheblich ausgeweitet. Kundmachung und Zustellung werden vereinheitlicht, Fristen laufen künftig einheitlich und ohne saisonale Unterbrechungen („Ediktalsperre“).
Das Wichtigste in Kürze
- Erweiterter Anwendungsbereich: Die Schwelle für Großverfahren wird von 100 auf 50 Personen gesenkt.
- Zentrale Kundmachungsplattform: Öffentliche Kundmachungen erfolgen künftig ausschließlich über das RIS (Entfall der EVI-Plattform).
- Ganzjähriger Fristenlauf: Die Fristenhemmung in Ferienzeiten entfällt ersatzlos.
- Strikte Präklusion: Verspätetes Parteivorbringen bleibt künftig unberücksichtigt.
- Einheitliche Zustellung: Die Zustellung von Bescheiden erfolgt ausschließlich durch Edikt im RIS; für den Fristenlauf ist allein dieser Zeitpunkt maßgeblich.
- Direkte Kostentragung: Die Behörde kann Antragsteller verpflichten, Barauslagen direkt an die Leistungserbringer (Gutachter) zu zahlen.
Zentrale Änderungen im Detail
Erweiterter Anwendungsbereich und verkürzte Auflage. Die Einstiegsschwelle für Großverfahren wird von 100 auf 50 potenziell Beteiligte gesenkt (§ 44a Abs 1 AVG). Damit fallen künftig deutlich mehr komplexe Vorhaben – insbesondere Infrastruktur-, Bau- und Anlagenverfahren – in das Großverfahrensregime. Zudem wird die Auflagefrist (Einsichtnahmefrist) von acht auf sechs Wochen verkürzt (§ 44g Abs 2 AVG nF). Dies dient der strafferen Taktung des Verfahrensbeginns.
Einheitliche Kundmachung über das RIS. Künftig erfolgt die Kundmachung ausschließlich über das Rechtsinformationssystem des Bundes (§ 44a Abs 3 AVG). Dieser zentralisierte Kundmachungsweg definiert exklusiv den Beginn von Fristen, beseitigt Rechtsunsicherheiten durch parallele Veröffentlichungswege und vereinfacht die Verfahrenskommunikation.
Wegfall der Ediktalsperre. Die bisherige Regelung, wonach Kundmachungsfristen in bestimmten Ferienzeiten nicht enden durften (Fristenhemmung), wird ersatzlos gestrichen (§ 44a Abs 3 AVG). Da das RIS permanent verfügbar ist, können Fristen künftig jederzeit enden. Leerlaufzeiten werden so vermieden und die Gesamtdauer von Verfahren verkürzt.
Verschärfte Präklusionsregelungen. Die Novelle trennt schärfer zwischen Einwendungen und späterem Vorbringen. Nach Schluss des Ermittlungsverfahrens ist neues Parteienvorbringen künftig ausgeschlossen (Neuerungsverbot gemäß § 44b Abs 3 AVG). Um taktischen Verzögerungen entgegenzuwirken, kann die Behörde zudem bereits vor einer mündlichen Verhandlung eine Fallfrist für ergänzendes Vorbringen setzen (§ 44d Abs 3 AVG). Parteien müssen ihre Einwendungen daher künftig zwingend frühzeitig („frontloaded”) und vollständig einbringen, um Rechtsverluste zu vermeiden.
Zustellung ausschließlich per Edikt. Verfahrensbeendende Bescheide werden rechtswirksam ausschließlich durch Edikt im RIS zugestellt (§ 44g Abs 1 AVG nF). Damit beginnt die Beschwerdefrist für alle Parteien absolut einheitlich zu laufen. Etwaige informelle Zusendungen an Parteien sind für den Fristenlauf bedeutungslos. Dies stärkt die Rechtssicherheit und minimiert das Risiko, dass übergangene Parteien später das Verfahren neu aufrollen können.
Direkte Kostentragung. Ein neuer § 44f AVG ermächtigt die Behörde, dem Antragsteller mittels Bescheids aufzutragen, Barauslagen direkt an die Leistungserbringer (zB Sachverständige) zu zahlen. Die administrative Abwicklung der Zahlungen über die Behörde entfällt damit weitgehend.
Inkrafttreten und Übergangsbestimmungen. Die Änderungen treten mit 1. Jänner 2026 in Kraft. Für Verfahren, die zu diesem Zeitpunkt bereits anhängig sind, gelten gesonderte Übergangsbestimmungen (§ 82 Abs 27 AVG). Sofern die Schwelle von 50 Personen erreicht wird, kann auch in laufenden Verfahren auf die neue Ediktalzustellung umgestellt werden, sofern die Parteien zuvor persönlich darüber verständigt wurden.
Fazit
Die Novelle ändert die Systematik des Großverfahrens nicht, weitet dessen Anwendungsbereich jedoch signifikant aus. Mit der Schwelle von 50 Personen wird die Ediktalzustellung zum Standard in komplexen Materien. Das zentrale Ziel – die Vermeidung übergangener Parteien und die Synchronisierung des Fristenlaufs – greift damit breiter als bisher.
Für Projektwerber sinkt das Risiko zeitlich gestaffelter Rechtsmittelverfahren, die bislang oft aus verspäteten Zustellungen an einzelne Parteien resultierten. Die Rechtsmittelfrist beginnt künftig für alle Beteiligten zeitgleich mit der Kundmachung im RIS. Dies bedeutet höhere Rechtssicherheit und frühere formelle Rechtskraft. Im Gegenzug erfordern die verschärften Präklusionsregeln ein diszipliniertes Management: Vorbringen müssen konzentriert und vollständig im Ermittlungsverfahren erstattet werden; das Nachschieben von Argumenten in der Beschwerdeinstanz wird erschwert.
Wolf Theiss verfügt über langjährige Erfahrung in der Beratung und Vertretung von Projektwerbern und Unternehmen in komplexen verwaltungsrechtlichen Verfahren und steht Ihnen für weiterführende Fragen jederzeit zur Verfügung.
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